
Resilienz und Positive Psychologie
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, 08. November 2022Angesichts vielfältiger Krisen benötigen wir Resilienz. Individuell, aber auch in Teams, Organisationen und als Gesellschaft. Was genau bedeutet Resilienz? Was fördert Resilienz? Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Resilienz und Positiver Psychologie? Wie sieht resilientes Verhalten aus?
Resilienz
Ursprünglich kommt der Begriff Resilienz aus der Materialwissenschaft und bezeichnet die Fähigkeit eines Gegenstandes, nach einer Belastung wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. Übertragen auf den Menschen ist es die Fähigkeit, Lebenskrisen ohne anhaltende Beeinträchtigungen durchzustehen. Das Konzept der Resilienz ist auch außerhalb der Psychologie weit verbreitet und wird sowohl in der Pädagogik als auch im Arbeitsleben häufig benutzt. Die Definitionen von Resilienz gehen dabei zum Teil weit auseinander.
Der Begriff Resilienz wurde insbesondere durch die Arbeit von Emmy Werner bekannt. Sie führte eine Längsschnittstudie an 698 Kindern auf der Hawaii Insel Kauai durch. Die 1977 veröffentlichte Studie zeigte, dass sich Kinder, die biologischen/medizinischen und sozialen Risikofaktoren (wie zum Beispiel Komplikationen bei der Geburt oder Armut) ausgesetzt sind, im Durchschnitt negativer entwickeln als Kinder, die keinen solchen Risikofaktoren ausgesetzt sind. Sie sind zum Beispiel häufiger delinquent, psychisch und körperlich weniger gesund und später beruflich weniger erfolgreich. Das meistbeachtete Ergebnis von Werners Studie jedoch war, dass es auch Kinder gab, die sich trotz zahlreicher Risikofaktoren dennoch positiv entwickeln. Das traf auf ungefähr ein Drittel dieser Kinder zu. Emmy Werner fand heraus, dass die resilienten Kinder über eine gut entwickelte Selbstständigkeit sowie eine hohe Problemlösefähigkeit verfügten und eine stabile Beziehung zu einer fürsorglichen Bezugsperson sowie außerfamiliäre Kontakte zu Nachbarn oder Lehrern als Ressourcen hatten.
Was fördert Resilienz?
In der Forschung sind mittlerweile verschiedene Resilienzfaktoren definiert:
- Umweltfaktoren (z.B. Familie, Umfeld, Kultur,…)
- Persönliche Faktoren (z.B. Intelligenz, Sinngebung, Selbstregulation, Selbstwirksamkeit,…)
- Prozessuale Faktoren (z.B. Akzeptanz, Konzentration auf das Wesentliche, …)
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, 2012) hat in einer Schrift den Forschungsstand zu Resilienz und psychologischen Schutzfaktoren zusammengefasst. Klare Belege für positive Auswirkungen auf Resilienz gibt es für:
- Positive Emotionen: In einer Vielzahl von Studien wird das Erleben positiver Emotionen als Schutzfaktor für die Bewältigung kritischer Lebensereignisse bestätigt. Damit ist auch die Fähigkeit gemeint, sich über alltägliche Ereignisse zu freuen.
- Optimismus: Der Zusammenhang von „dispositionellen Optimismus“ (als zeitlich und situativ stabile Tendenz zur positiven Ergebniserwartung) und psychischer und physischer Gesundheit gilt als erwiesen. Generell gilt Optimismus als gut belegter Schutzfaktor für Resilienz.
- Hoffnung: Hoffnung wird in der Psychologie meist als Kraft definiert, trotz schwieriger Umstände ein Ziel zu verfolgen und dieses zu erreichen. Der positive Zusammenhang von Hoffnung und Resilienz wurde vor allem im Umgang mit chronischen Stressoren (z. B. lange und schwere Erkrankungen) als sehr deutlich dokumentiert.
- Selbstwirksamkeitserwartung: Selbstwirksamkeit bezeichnet die Erwartungen, aus eigener Kraft Anforderungen oder Aufgaben bewältigen zu können. Selbstwirksamkeit als Schutz- und Resilienzfaktor ist ebenfalls klar belegt.
- Soziale Unterstützung: Soziale Unterstützung gilt neben der positiven Wirkung auf das psychische Wohlbefinden der als am besten belegte positive Faktor auf körperliche Gesundheit. Soziale Unterstützung hat einen Puffereffekt auf Stresssituationen und auf kritische und traumatische Lebensereignisse.
Resilienz und Positive Psychologie
Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, Lebenskrisen oder stressende Situationen gut bewältigen zu können. Die Positive Psychologie hat zum Thema, wie Menschen aufblühen können. Damit gibt es eine breite Schnittmenge zwischen beiden Ansätzen. Resilienz und posttraumatisches Wachstum sind auch Themen der Positiven Psychologie. Die Ausrichtung auf Aufblühen und Entwicklung von Stärken und Sinn geht aber über den Ansatz der Resilienz hinaus. Konzepte, die als psychische Schutzfaktoren für Resilienz gelten, (Positive Emotionen, Optimismus, Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Positive Beziehungen) sind eigene Schwerpunktthemen der Positiven Psychologie. Diese sind jeweils eigene Forschungsschwerpunkte und die Positive Psychologie stellt zu diesen Themen für den Anwender/die Anwenderin eine Reihe von Übungen und Interventionen zur Verfügung.
Resilienz und Positive Emotionen
Die Fähigkeit, in belastenden Situationen auch positive Emotionen wahrnehmen und erleben zu können, scheint einer der Schlüssel zur Resilienz zu sein. Die Wirkung positiver Emotionen auf das Wohlbefinden ist klar belegt. Barbara Fredrickson beschreibt in ihrer Broaden and Build-Theorie kurz- und langfristige Effekte positiver Emotionen. Sie beschreibt auch konkrete Strategien, wie positive Emotionen gesteigert werden können (Freundlichkeit, Dankbarkeit, Bewegung, Natur, Achtsamkeit, Sinn, Genießen, …). Hierzu gibt es jeweils eine Vielzahl konkreter Interventionen.
Barbara Fredrickson definiert Resilienz als Fähigkeit zur Unterschiedswahrnehmung. Wer resilient ist, kann das Positive zusätzlich zum Negativen wahrnehmen. Resiliente Menschen können in einer komplexen Situation, die positive und negative Aspekte hat, leichter die positiven Aspekte erkennen. Resiliente Menschen haben nicht weniger negative Emotionen. Sie können nur leichter von ihnen loslassen und auch positive Emotionen wahrnehmen und priorisieren, – so Fredrickson.
NIKES – Resilienz als kommunikativer Prozess
Patrice Buzzanell (2010) versteht Resilienz als eine Strategie, mit belastenden Situationen konstruktiv umzugehen. Aus ihrer Beobachtung von Individuen, Familien, Arbeitsteams und Gruppen in stressenden und auch traumatisierenden Situationen hat sie fünf erfolgreiche Resilienz-Strategien beschrieben. Diese lassen sich für Einzelpersonen, aber auch für Familien oder Teams nutzen. Ich habe diese fünf Strategien mit der Abkürzung „NIKES“ zusammengefasst:



N - Normalität schaffen: so viel Normalität wie möglich weiterzuleben.
- Gewohnheiten, Alltag, Routinen, ...
- Was ist weiter möglich?
- Was geht alleine, was ist gemeinsam mit anderen möglich?
Beispiel: Nach gesundheitlichen Einschränkungen sich bewusst machen, welche Routinen und Gewohnheiten auch weiterhin machbar sind, auch wenn einige möglicherweise wegfallen.
I - Identitätsanker: sich bewusstwerden, welche Rollen / Identitäten bleiben, auch wenn durch die Krise manche Rollen beeinträchtigt sind und wegfallen.
- Wer bin ich weiterhin?
- Welche Rollen bleiben?
- Welche Stärken kann ich weiter einsetzen?
Beispiel: Nach dem Verlust eines Lebenspartners die bleibenden Rollen in der Familie, Freundeskreis und Arbeit bewusst ausüben und pflegen.
K - Kommunizieren: Möglichkeiten der Kommunikation und des Austausches suchen.
- Mit wem kann ich reden?
- Netzwerke pflegen
- Verabreden, Treffen, Austauschen
Beispiel: Im Lockdown verabreden sich die Bewohner einer Straße, sich täglich am Abend draußen zu treffen.
E - Emotionen: Alle Gefühle dürfen sein. Gleichzeitig auch Positives wahrnehmen und stärken.
- Alles darf sein
- Negative Emotionen anerkennen
- Positive Emotionen in den Vordergrund
Beispiel: Nach einer Trennung eigene Trauer und Wut zugestehen und zulassen. Gleichzeitig aber auch positive Momente wahrnehmen und nach Möglichkeit intensivieren.
S - Sinn: Welchen Sinn kann ich in der Krise sehen? Die Traumaforschung (Mangelsdorf & Eid 2016) bestätigt, dass diese Frage erst später, oft erst nach einem Jahr nach dem traumatischen Ereignis gestellt und beantwortet werden kann.
- Fragen nach dem Sinn sind erst dann beantwortbar, wenn das kritische Ereignis verarbeitet ist, oft erst nach ca. einem Jahr.
- Was ist das Gute im Schlechten?
- Was konnte ich lernen / stärken?
- Wofür kann ich rückblickend dankbar sein?
Beispiel: Eine schwere Krankheit kann rückblickend ein Anlass werden, das Leben bewusster wahrzunehmen.
Das aus meiner Sicht so nützliche an diesem Konzept ist, dass Resilienz nicht als Fähigkeit beschrieben wird, die man mehr oder weniger hat. Sondern dass mit NIKES fünf konkrete Strategien beschrieben werden, die nachvollziehbar, erlernbar, in Krisensituationen umsetzbar und auch trainierbar sind.
Eine Vertiefung all dieser Themen und deren Anwendung in der Arbeit mit Individuen und Teams ist Teil der Ausbildung zum/zur Anwender*in Positive Psychologie.