von Albert Glossner, 29. Februar 2024
Seine eigenen Stärken erkennen? Wie kann man das? Ich möchte euch hier die Methode der Stärkenversteigerung vorstellen. Versteigerungen haben mich schon immer fasziniert. Vor einigen Jahren habe ich über die Trainingsmethode „Werteversteigerung“ gelesen und mit ihr in der Suggestopädie experimentiert. Nun habe ich diese Methode auf das Thema „Charakterstärken“ der Positiven Psychologie übertragen. Dort setze ich sie ein, um Teilnehmende in eine intensive Auseinandersetzung mit persönlichen Stärken zu führen.
Zielsetzung der Positiven Psychologie ist, zu erforschen und zu beschreiben, was zu einem gelungenen Leben und zum Aufblühen („Flourishing“) beiträgt. In diesem Zusammenhang war es konsequent, sich darüber Gedanken zu machen, was einen „guten Charakter“ oder eine „entwickelte Persönlichkeit“ ausmacht und beschreibt. Um hier ein zeit- und kulturübergreifendes Modell zu finden, ist das Forscherteam um Martin Seligman und Christopher Peterson (Peterson & Seligman 2004) einen interessanten Weg gegangen:
Die Forscher haben zeitgenössische und alte Texte analysiert, um Stärken zu finden, die über die Zeit hinweg in verschiedenen Kulturen als wertvoll betrachtet werden. Folgende Quellen wurden berücksichtigt:
In der Positiven Psychologie erklärt man das häufig über die Charakterstärken und Tugenden.
Aus diesen Quellen hat das Forscherteam insgesamt 24 Charakterstärken identifiziert, die zeit- und kulturübergreifend gültig sind und als positiv bewertet werden. Diese 24 Charakterstärken verteilen sich auf 6 Stärkenfamilien. Diese werden auch als Tugenden bezeichnet. Diese sechs Tugenden und die jeweils zugeordneten Charakterstärken sind:
Kognitive Stärken, die den Erwerb und den Gebrauch von Wissen beinhalten:
Emotionale Stärken, die mittels der Ausübung von Willensleistung internale und externale Barrieren zur Erreichung eines Zieles überwinden
Interpersonale Stärken, die liebevolle, menschliche Interaktionen ermöglichen:
Stärken, die das Gemeinwesen fördern:
Stärken, die Exzessen entgegenwirken:
Stärken, die uns einer höheren Macht näher bringen und Sinn stiften
Als Signaturstärken werden die 3-7 Charakterstärken bezeichnet, die ein Mensch am intensivsten nutzt. Diese Stärken werden auch als besonders erfüllend erlebt und als Bestandteil der eigenen Persönlichkeit verstanden („Das bin ich.“).
Gelingt es, die Signaturstärken in der eigenen Arbeit einzusetzen, ist dies meist mit intrinsischer Motivation verbunden – die Tätigkeit an sich gibt Freude und Erfüllung. Oft ist auch Flow-Erleben eine Folge davon.
Folgende Zusammenhänge rund um den Einsatz von Stärken wurden in Studien bestätigt:
Eine ausführlichere Beschreibung der 24 Charakterstärken und auch einen Test zum Einsatz dieser Stärken findet sich auf folgender Seite der Uni Zürich (einmalige Registrierung erforderlich): https://www.charakterstaerken.org/
Wie läuft die Stärkenversteigerung ab?
Im ersten Schritt geht es darum, das Modell der Charakterstärken kennenzulernen. Dazu präsentiere ich die 6 Tugenden und nutze dabei die Hogwarts-Häuser aus Harry Potter zur Herleitung. Am Ende dieser Präsentation liegen die 6 Tugenden als Karten auf dem Boden.
Dann teile ich die 24 Charakterstärken aus. Zu jeder Charakterstärke habe ich ein laminiertes A4-Blatt, auf der Vorderseite die jeweilige Stärke auf Deutsch und Englisch kombiniert mit einem passenden Foto, auf der Rückseite eine kurze Beschreibung der Stärke. Nachdem jeder Teilnehmer in etwa die gleiche Anzahl von Stärken erhalten hat, erkläre ich die folgende Aufgabe:
„Wer beginnen möchte, beginnt und stellt einer seiner Stärken kurz vor. Dazu kannst du die Erläuterung auf der Rückseite nutzen, aber auch dein eigenes Verständnis der Stärke darstellen. Ordne sie der am Boden liegenden Tugend zu, zu der sie deiner Meinung nach am besten passt.“
Nacheinander werden auf diese Weise die Stärken von den Teilnehmenden präsentiert. Manchmal ergänze ich die Darstellung der Teilnehmenden, wenn mir ein bestimmter Aspekt wichtig ist. Manchmal entsteht hier auch schon eine kleine Diskussion über die jeweilige Stärke.
Wenn alle Stärken nun den Tugenden zugeordnet sind und auf dem Boden liegen, dann decke ich das Flipchart mit der Zuordnung auf, wie sie Peterson und Seligman vorgenommen haben („Nun schauen wir mal an, was die beiden sich gedacht haben…“). In der Regel liegen ein Anzahl von Stärken an anderer Stelle, wie das Modell vorsieht. Ohne von „richtig“ oder „falsch“ zu sprechen, ordnen wir die Stärken nun so zu, wie im Modell beschrieben und sprechen darüber, welche Gründe dafür sprechen könnten, beispielsweise „Dankbarkeit“ der „Transzendenz“ zuzuordnen.
Nun kommt die eigentliche Versteigerung. Dazu stelle ich eine Frage, z.B.: „Welche Stärken setze ich am liebsten ein?“. Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin erhält nun ein Startkapital von 1000 Euro in Form von zehn 100er Scheinen (Spielgeld!). Nun beginne ich in willkürlicher Reihenfolge, die Stärken zu versteigern. Der Teilnehmer, der am meisten bietet, erhält die jeweilige Stärke.
Wenn diese Prozedur abgeschlossen ist, hat sich jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin 24 mal intensiv die Frage gestellt, wie wichtig ihm / ihr die jeweilige Stärke ist.
Abschließend führe ich ein Blitzlicht durch, in der sich jeder dazu äußert, wie zufrieden er / sie mit dem Ergebnis ist und was es für ihn/sie bedeutet.
Nun bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten an, mit den ersteigerten Stärken in einer Partnerarbeit weiterzuarbeiten und zu vertiefen. Beispiele für Fragestellungen dazu könnten sein:
Mittlerweile habe ich die Stärkenversteigerung ein halbes Dutzend Male durchgeführt, mit 6 Teilnehmern, aber auch mit einer Gruppe von 30 Teilnehmenden. Stets war viel Spaß dabei und die Teilnehmenden waren höchst aktiv und interessiert dabei.
Inzwischen habe ich begonnen, auch mit der Fragestellung zu experimentieren, mit der die Versteigerung stattfindet: Zunächst habe ich die eher unspezifische Frage „Welche Stärken möchte ich haben?“ eingesetzt und die Erfahrung gemacht, dass einige Teilnehmer die Stärke auswählen, die sie als persönliche Stärke auch wahrnehmen, andere wählen die Stärke, die sie entwickeln wollen. So habe ich begonnen, die Frage genauer auszurichten, z.B.:
Während die ersten beiden Fragen zu einer Selbsteinschätzung einladen (ähnlich wie der Fragebogen), ist die letzte Frage transferorientiert. Sie setze ich am Ende der ersten Woche in der Ausbildung Positive Psychologie ein. Damit lade ich die Teilnehmenden ein, sich auf ganz bestimmte Stärken zu fokussieren und diese verstärkt einzusetzen. Ich war sehr angetan davon, welche Kombinationen dann welche Teilnehmer ersteigert haben. Dies habe ich meist als sehr stimmige Ausrichtung bewertet, um sich selbst weiter zu entwickeln.
Abschließend möchte ich von einer Erfahrung berichten, die ich beim Einsatz der Methode bei einem international zusammengesetzten Training (Deutsche, Holländer, Norweger, Griechen, Türken) gemacht habe: hier haben am Ende die beiden Türken – sichtlich bewegt – die Erkenntnis geteilt, dass es doch jenseits der kulturellen Unterschiede die gleichen Werte sind, welche die Menschen teilen.
In der Ausbildung zum/ zur Anwenderin* in Positive Psychologie hast du die Möglichkeit, die Stärkenversteigerung selbst zu erleben.
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